„Der nationalsozialistische Wald“ von Birgit Nitsch
In ihrer Serie „Der nationalsozialistische Wald“ zeigt Birgit Nitsch ausschnitthafte Ansichten von Wäldern. Es handelt sich um Schwarz-Weiß-Fotografien.
Was sie beschäftigt, sind nicht die Wälder als eine Repräsentation von Natur, sondern der spezifische Ort und sein historischer Kontext. Die Wälder befinden sich alle in der Nähe von Konzentrationslagern, in denen Menschen gequält und getötet wurden. Die Wälder waren oftmals Schauplätze von Gewaltmärschen, Exekutionen, Flucht und gescheiterten Fluchtversuchen. Der Wald ist hier kein Bild ungebrochener Natur, sondern ein Ort gesellschaftlicher Ereignisse, die in ihrer Tragweite und tödlichen Konsequenz unerträglich sind.
Inwieweit handelt es sich um ein Stimmungsbild, ein Psychogramm des Ortes und/oder um ein solches der Fotografin selbst? Zwar lässt sich eindeutig sagen, dass ihre Bilder nicht dokumentarisch sind, sie klären auf phänomenologischer Ebene erst einmal nichts auf, sie funktionieren nicht als Speicher von Bildinformationen. Die Frage nach dem dokumentarischen Aspekt der Fotografie ist hier dennoch relevant, da sie dem Medium eingeschrieben ist und Birgit Nitsch reale Orte fotografiert, die in Bezug zu historischen Ereignissen stehen.
Denkmalfotografie hat eine Tradition in der Fotografie. Sie hat die Funktion, Repräsentantin eines Ortes, einer Architektur oder eines Artefakts zu sein. Bei den hier vorliegenden Bildern kann man nicht von einer Repräsentation der Konzentrationslager sprechen, da diese zwischenzeitlich zu Gedenkstätten umgewandelt worden sind. Als Orte der grauenhaften, nicht fassbaren Vernichtung von Juden, muss die mit ihnen verknüpfte Erinnerung, einer Zuspitzung zu bloßen historischen Fakten entzogen werden, da diese zu Momenten von reiner Verwaltung und Sensation werden. Das Eingeständnis des Unfassbaren, der Unmöglichkeit einer solchen rein faktischen, dokumentarischen, in der Welt befindlichen Bestandsaufnahme, als Eingeständnis der Lebenden vor den Toten.
Die Fotografien zeigen Wälder, die nicht eindeutig identifizierbar sind – es gibt eine Vielzahl solcher Wälder, erst der Kontext erschließt die Besonderheit des von ihr Fotografierten. Birgit Nitsch betont, dass das Wort Buchenwald seine Unschuld verloren habe. Es ist schwer möglich, an einen Buchenwald zu denken, ohne an Buchenwald zu denken.
Sprache spielte in ihrer Recherche eine wichtige Rolle – sie las Tagebücher und autobiografische Berichte von KZ-Häftlingen. Die Wiederholung der immer gleichen Abläufe, die sich in der Sprache niederschlägt und die unweigerliche Übernahme des Vokabulars der Täter, des Systems durch die Opfer, waren für Nitsch besonders erschreckende Aspekte. Die schwarz-weißen Bilder, der Verzicht auf Farbe, die Bäume, welche als leere Zeichenträger fungieren, können als Hinweis auf Sprache verstanden werden – vielleicht auf den Versuch, eine Sprache zu finden, die das Geschehene beschreiben kann.
Schwarz-Weiß-Fotografie wird durch ihre Abgrenzung zur Farbwahrnehmung des Auges und im Hinblick auf die Tatsache, dass Träume farblos sein können, oftmals als (alb)traumhaft interpretiert. Aus dieser Perspektive lassen sich die Bilder als fotografische Heraufbeschwörung eines Ortes verstehen, in deren Konfrontation man Geistern begegnet, die einen nicht mehr verlassen.
Die Fotografin zeigt in ihrer Art und Weise, Wald zu sehen und zu kontextualisieren, diesen so, wie er sich unserem alltäglichen und wachen Verständnis entzieht. Die Realität des Holocausts ist etwas, das unserem Alltagsempfinden fern liegt. Das ist vermutlich auch begründet in der Art unserer Erinnerungskultur, die mehr einem Abhandeln gleicht, als dass sie Anteilnahme fördert. Die Einsicht, dass die Ereignisse, die zu den Konzentrationslagern führten, nicht mit Hitler begonnen haben und auch nach dem Zweiten Weltkrieg nicht einfach wieder aus der Welt verschwunden sind, wäre Voraussetzung eines anderen Umgangs mit der Geschichte, der andere gesellschaftliche Bedingungen voraussetzte. Es bräuchte eine Gesellschaft, der am Wohl aller gelegen ist, die das Leben bejaht, den Tod ablehnt und die Fähigkeit zu trauern zuläßt.
Birgit Nitsch wendet sich gegen das Vergessen. Der Bruch ist da und real. Das immer erneute Einfordern der Verantwortung vor den Opfern und vor sich selbst ist die einzige Möglichkeit für Anteilnahme im Umgang mit der Vergangenheit.
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Herta Wolf, „Das Denkmalarchiv“ in: Herta Wolf, „Paradigma Fotografie. Fotokritik am Ende des fotografischen Zeitalters“, Frankfurt am Main 2002, S. 349.